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Ein Tag im Leben einer depressiven Mama

Die ganze Woche habe ich kaum etwas geschafft. Meine „to-do“ Liste wird einfach nicht kürzer, mein Großer hat immer noch keine funktionierende Birne in seiner Lampe und die Tomatensauce die immer noch auf dem Herd steht lacht mich mehrmals täglich an. Insgesamt sieht die Wohnung aus als sei jemand eingebrochen und hätte etwas wie ein verrückter gesucht, wobei, dem ganzen Dreck auf dem Boden nach zu urteilen nicht nur einer sondern mindestens 10 hier durch gerannt sein müssen, mein Staubsauger steht in der Ecke und schmollt. Plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Sie ist wieder da. Die Depression!

Naja, irgendwie da ist sie ja immer, aber manchmal, bzw. mittlerweile meistens, sitzt sie nur so rum, guckt mir beim Leben zu und lässt hin und wieder einen blöden Kommentar ab der mich runter zieht. Wenn ich das bemerke, weiß was sie tut, kann ich mich wehren. Aber dieses Mal hat sie sich langsam und immer mehr in den Mittelpunkt geschoben und jetzt weiß ich nicht weiter!
Meine Tochter schreit. Sie ist erst ein Jahr alt und ich heute einfach unaufmerksam. Sie schreit heute häufig. Ich bin gerade verzweifelt, erschöpft und am Ende meiner Kräfte. Ich setze mich hin nehme sie und sage: „bitte hör auf. Ich bin müde, ich kann nicht mehr!“ sie lacht mich an, klettert von meinem Schoß und spielt. Ich bleibe wie versteinert sitzen. Keine Ahnung wie lange, dann beschwert sie sich wieder. Ich schreie sie an, frage was sie will und sage das ich sie nicht verstehe. Sie steht vor der Schublade mit ihren Flaschen, also mache ich ihr eine Milchflasche und drücke sie ihr in die Hand. Sie nimmt die Flasche, klettert aufs Sofa und trinkt, sie sieht müde aus. Ich nehme mein Handy in die Hand und sehe das mein Mann geschrieben hat, er hat eine klärte 1 in seiner letzten Prüfung. Ich will mich für ihn freuen, aber da ist nichts. Das wiederum sorgt dafür das ich in Tränen ausbreche. Ich setze mich auf die Couch und nehme meine Tochter auf den Arm, ich streichle weinend über ihren Kopf und sage ihr wie sehr ich sie liebe. Sie trinkt in Ruhe ihre Milch, als diese leer ist drückt sie mir die Flasche in die Hand, kuschelt sich tief in meinen Arm, lächelt und schläft ein. Ich weine noch ein bisschen mehr, dieser Moment sollte pures Glück sein und irgendwo in mir drin weiß ich das weil ich es schon so oft gespürt habe, aber gerade bin ich leer.
Während ich sie in ihr Bett bete ich das sie nicht wach wird, als sie kurz die Augen öffnet möchte mein Körper weinend zusammen brechen, irgendwie schaffe ich es mich zusammen zu reißen und ihr sanft über den Rücken zu streicheln so dass sie wieder einschläft. Ich schleiche mich aus ihrem Zimmer ins Wohnzimmer und fange an sinnfreie Spiele auf dem Handy zu spielen. Nur kurz. Als Ella wach wird habe ich nicht den Hauch einer Ahnung wie viel Zeit vergangen ist, dabei hätte ich sie nutzen sollen. Der Moment in dem ich sie aus ihrem Bett hebe ist gleichzeitig furchtbar, weil ich nicht weiß was ich jetzt tun soll und ob ich das schaffe, und wunderbar, weil sie ihre Arme um mich legt und sich ganz fest an mich drückt. Als ich auf die Uhr guckt erschrecke ich mich, es ist mittlerweile 12 Uhr mittags und der Hund war den ganzen Tag noch nicht draußen. Es hilft also alles nicht, wir müssen mal raus. Eigentlich müsste ich mich anziehen. Ich bin noch im Schlafanzug, mit Flecken auf dem Oberteil und ohne BH. Aber ich will nicht. Also gehen wir drei in den Garten. Im Schlafanzug, wobei zumindest der kleinen hab ich was angezogen, nichts besonderes, aber Tageskleidung. Ich schaffe es gerade so zwei Schritte vor die Tür zu gehen und setze mich auf den Boden. Meine Tochter freut sich, sie läuft zum Beet, sammelt Kieselsteine und bringt sie mir. Die frische Luft tut gut, dennoch halte ich es nicht lange draußen aus. Außerdem wird Zeit fürs Mittagessen. Irgendwie möchte ich Milchreis. Wo kommt das auf einmal her? Ich denke weil das mein Lieblingsessen bei meiner Mama ist, weil es nach Geborgenheit und zuhause schmeckt. Also setze ich Milchreis auf. Meine Tochter möchte meine Aufmerksamkeit, irgendwie ist mir das gerade zu viel und entgegen jeglicher Überzeugung schalte ich für Sie den Fernseher ein. Das erste mal Kinderprogramm für sie. Ihr gefällt es, ich weiß das sie noch zu jung dafür ist. Es klingelt. Mein Großer kommt aus der Schule, eine Stunde früher als sonst, auch das noch. Als ich die Tür öffne begrüße ich ihn und frage warum er so früh ist. „Ich hatte dir doch erzählt das ich nur vier Stunden habe, heute ist der letzte Schultag vor den Ferien.“ Achja, es sind ja schon wieder Ferien. Wir gucken die Sendung der Kleinen zu Ende während ich dem Großen den Fuß verarzte, gestern war er in eine Scherbe getreten und wollte jetzt das Pflaster erneuern. Es klingelt wieder, es ist meine Schwester. Sie fragt ob und wann es etwas zu essen gibt, dann schaut sie mich an und sagt das ich Ihre Nachricht nicht beantwortet hab. Heute morgen hatte ich geschrieben das es mir nicht gut geht und sie hatte gefragt ob es physisch oder psychisch sei. „Eigentlich wollte ich schreiben: beides, alles, keine Ahnung, lass mich in Ruhe. Und dann hab ich lieber gar nichts geschrieben.“ Sie nickt und fragt was der Milchreis macht. Ich ärgere mich weil er einfach nicht fertig werden möchte, er schmeckt nicht wie bei Mama. Meine Schwester sagt mir das sie nach nebenan geht und etwas anderes kocht. Meine Tochter läuft zu ihr, lässt sich auf den Arm nehmen und winkt mir. Sollte mich das traurig machen? Ich bin erleichtert. Mein Großer ist inzwischen eingeschlafen, die Schule war anscheinend anstrengend. Ich setze mich in den Sessel, ich bin kraftlos, ich schlafe ein. Als ich wach werde ist es kurz nach drei. Der Milchreis sollte ja jetzt fertig sein, also nehme ich mir etwas. Er schmeckt nicht so gut wie bei Mama, aber er schmeckt nach Kindheitsglück und Geborgenheit. In dem Moment fühlt es sich an als ginge es jetzt bergauf. Nach dem Essen beginne ich ein wenig aufzuräumen und finde dabei einen Topf mit eingebranntem im Schrank. Kurz möchte ich mich aufregen, dann denke ich das ich froh sein kann das mein Sohn die Spülmaschine ausräumt und beschließe ihn bei Gelegenheit zu bitten etwas genauer hin zu schauen wenn er etwas weg räumt. Als ich gerade den Reiniger holen möchte kommt mein Mann zur Tür rein. Es geht mir immer noch nicht gut, aber ich freue mich das er da ist, kurz lächle ich ihn an. Es reicht nicht. Er fragt warum ich ihn so böse ansehe. Das kränkt mich weil es nickt meine Absicht war, also gehe ich einfach an ihm vorbei und hole den Reiniger. Der Große kommt aus seinem Zimmer und begrüßt seinen Papa, dabei antwortet er an meiner Stelle und sagt: „der Mama geht es heute nicht so gut.“ Als ich in der Küche stehe und den Topf einweiche löchert mein Mann mich mit fragen. Er will wissen warum es mir nicht gut geht. Weil ihm ein einfaches Schulterzucken nicht genügt werde ich pampig und schreie fast das ich es nicht weiß, es mir einfach nicht gut geht und ich offensichtlich kein Bedürfnis habe über irgendwas zu reden. Plötzlich habe ich das Bedürfnis mir die Zähne zu putzen, gehe ins Bad und sitze kurze Zeit später weinend auf dem Boden. Irgendwann kommt mein Mann rein und beginnt wieder mit seinen Fragen. Meine Antwort nur Schulterzucken. Dann fragt er ob es wegen meiner Mutter ist. Ich zucke wieder mit den Schultern und weine weiter. Jedoch denke ich darüber nach. Es könnte schon sein. Sie wird schließlich gerade operiert. Die Wahrscheinlichkeit das es Krebs ist liegt unter einem Prozent. Eigentlich dachte ich ich sei rational, würde jetzt noch kein Drama machen. Aber vielleicht ist das Unterbewusstsein stärker. Von irgendwoher höre ich die Stimme meines Mannes, er fragt mich ob ich irgendetwas haben oder machen möchte. Ich zucke wieder mit den Schultern und lege mich auf die Couch. Mein Mann macht bescheuerte Musik an und beginnt noch bescheuerter zu tanzen. Obwohl ich es nicht will huscht mir ein Lächeln durchs Gesicht. Er kommt immer wieder zu mir um mich auf zu heitern. Zurück bekommt er nur ein „Lass mich in Ruhe“! Er stellt die Musik um, auf Disneylieder, ich mag sie. Er beginnt aufzuräumen. Kurz danach bringt meine Schwester meine Tochter nach Hause, sie streckt ihre Arme nach mir aus. Sie liebt ihre Tanten, aber wenn sie eine Weile weg war hat sie Sehnsucht nach Mama. Also nehme ich sie auf den Arm und genieße ihre Nähe. Mein Mann möchte sie begrüßen, sie möchte nicht und klammert sich an mich. Manchmal empfinde ich diese Mamaphase als sehr anstrengend. Manchmal, so wie jetzt, genieße ich einfach das meine Nähe für sie etwas besonderes ist. Immer noch auf der Couch sitzend spiele ich etwas mit ihr. Als sie beschließt doch zu ihrem Papa zu laufen macht er gerade den Staubsauger Ankündigung sie auf dem Absatz wieder kehrt, dieses Ding ist ihr etwas suspekt. Danach setzt mein Mann sich auf die Couch und macht mit ihr Quatsch, sie lacht und quietscht fröhlich vor sich hin, ich muss mit lachen. Erst nur ein bisschen, dann immer mehr.
Als ich die kleine später ins Bett bringe fühle ich mich stabil. Nicht übertrieben glücklich, aber auch nicht mehr tief traurig oder leer. Einfach normal.
Gerade wird es besser. Heute hat mir meine Familie unglaublich geholfen. Und es hat geholfen das sie alle wissen was mit mir los ist. Ich lebe mit der Depression schon viele Jahre, es gibt gute und schlechte Tage, aber das aller wichtigste ist darüber zu reden. Am Anfang stieß auch ich öfter auf Unverständnis, aber Tage wie heute zeigen das es sich lohnt. Das es sich lohnt auch an guten Tagen zu erklären was eine Depression ist.